Interview mit Oliver Blume
Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG und Porsche AG
Herr Blume, Sie wurden in Niedersachsen geboren und sind hier aufgewachsen. Was bedeutet die neue Rolle im Volkswagen Konzern für Sie?
Sehr viel. Für mich ist es eine große Wertschätzung, dass mir diese Aufgabe angeboten wurde. Ich arbeite seit 28 Jahren im Volkswagen Konzern, war in vier Marken aktiv und habe dem Unternehmen viel zu verdanken – nun möchte ich meine Erfahrung in den Konzern einbringen. Mit Leidenschaft und Teamgeist. Erfolg ist immer die Leistung einer starken Mannschaft.
Sie kennen die handelnden Personen bereits gut. Und auch die Menschen und die Region. Wie wichtig ist Ihnen die Verbundenheit mit der Heimat?
Es gibt nur eine Heimat. Ich bin gebürtiger Braunschweiger, in der Nähe von Wolfsburg aufgewachsen und habe in Braunschweig studiert. Ich fühle eine große Verbundenheit zu den Menschen in dieser Region: Familie, Freunde, Weggefährten. Auch bei Volkswagen. Insofern ist das für mich ein Heimspiel. Interessant ist: Bislang kam nur ein Vorstandsvorsitzender des Konzerns aus Niedersachsen. Heinrich Nordhoff, eine positiv prägende Figur.
Ihre Doppelrolle des Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen und der Porsche AG wurde in Medien als sehr komplex beschrieben. Lassen sich der Konzern und Porsche gleichzeitig führen?
Klares ‚Ja‘. Die strategische Führung des Konzerns unterscheidet sich deutlich von der operativen Leitung einer Marke. Beides ergänzt sich aber ideal. In der Automobilindustrie ist die gleichzeitige Führung Konzern und Marke nicht unüblich. Und im Volkswagen Konzern hatte sie über viele Jahre eine gute Tradition. Für mich persönlich ist die Verknüpfung eine maßgebliche, gut durchdachte Entscheidung für den nachhaltigen Erfolg der Volkswagen AG und der Porsche AG: operativ eng in die Prozesse und Technologien eines Unternehmens eingebunden zu sein, um strategisch im Konzern die richtigen Entscheidungen treffen zu können.
Welche Auswirkung hätte ein möglicher Börsengang der Porsche AG auf Ihre Doppelrolle?
Im Fall des möglichen Börsengangs der Porsche AG würde meine Doppelrolle erhebliche Vorteile bringen. Nach einem möglichen Börsengang wäre die Porsche AG ein unabhängiges Unternehmen ohne Weisungsbefugnisse der Volkswagen AG. In meiner Konzernverantwortung werde ich parallel daran arbeiten, dass auch zukünftig Synergien in beide Richtungen für Einkaufsvolumina, Komponenten, Technologien oder Fabriken realisiert werden. Sollte es trotzdem mal zu einem Interessenkonflikt kommen, werden wir diesen eindeutig trennen beziehungsweise würde ich mich neutral verhalten. Der Porsche-Vorstand wird immer eigenständig entscheiden können. Und am Ende haben der Konzern und Porsche das gleiche Interesse: eine nachhaltige wertschaffende Entwicklung von Porsche mit attraktiven Dividenden.
Und wie lässt sich das zeitlich organisieren?
Mit Teamwork, einer straffen Planung und klaren Prioritäten. Mein Kalender wird sich nicht deutlich ändern. Ich werde in denselben Meetings sein, an denen ich seit Jahren als Konzern Vorstand teilnehme: Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen, Strategie-, Finanz- und Techniktage oder Marken- und Werkstermine. Jetzt in einer anderen Rolle. Zusätzlich werde ich Zeit gewinnen, indem ich zum Beispiel die Leitung von Konzern Produktion und Konzern Umweltschutz abgebe. Außerdem werde ich mehr als zehn weitere Mandate wie den Aufsichtsratssitz von Seat delegieren und mir mit meinem Finanzkollegen Arno Antlitz Aufgaben im Konzern teilen. Gleiches gilt für Lutz Meschke bei Porsche. Er ist hier schon seit Jahren mein bewährter Stellvertreter und zugleich Finanzvorstand.
Wie man hört, tauschen Sie sich schon direkt bei Verantwortlichen über den Stand von Projekten oder die Lösungsansätze von Problemen aus. Klingt nach einem Warmstart…
… in der Tat wird es keine 100 Tage Einarbeitung brauchen. Ich habe den großen Vorteil, den Konzern mit einem umfangreichen Netzwerk an Kolleginnen und Kollegen sehr gut zu kennen. Dadurch können wir vom ersten Tag an durchstarten. Ich habe einen klaren Plan und freue mich, eine starke Mannschaft zu haben. Im Konzern ebenso wie bei Porsche und in allen Marken. Entscheidend sind Teamgeist, Fairness und Leidenschaft. Wenn alle zusammenhalten und sich für ein Ziel stark machen, können wir gemeinsam mit dem Konzern alles erreichen.
Wie viel Porsche im Sinne Ihrer Führungskultur zieht mit Ihnen in Wolfsburg ein?
Meine Führungskultur ist die Erfahrung aus vier Marken: Audi, Seat, Volkswagen und Porsche. Mit jeder Station und unterschiedlichen Kulturen konnte ich dazulernen. Ich selbst denke immer in Chancen. Auf Erfolgen aufbauen, aus Niederlagen lernen. Wie im Sport. Es geht um Performance und Teamgeist. Ich gebe Leitplanken vor, die gleichzeitig genügend Spielraum lassen, sich zu entfalten. Wichtig sind mir Wertschätzung und Zusammenhalt. Darüber entsteht eine positive Dynamik. Ich sehe mich als Spielertrainer. Als Stratege und Umsetzer. Gute Führung ist immer der Schlüssel für den Erfolg. Der richtige Fokus und Geschwindigkeit machen ihn möglich.
Ihnen ist Teamwork sehr wichtig. Und genau dieses Teamwork erhofft sich auch der Aufsichtsrat des Konzerns von Ihnen.
Darauf kann sich der Aufsichtsrat ebenso verlassen wie alle Kolleginnen und Kollegen des Konzerns. Wichtig ist die Perspektive: Ich mag Menschen. Der Mensch steht für mich immer im Mittelpunkt. Diese Kultur lebe ich vor. Erfolg ist eine Teamleistung. Ich weiß, wie man Teams führt und begeistert. Genau das werde ich in den Konzern einbringen. Ich möchte mit unserer Mannschaft auf der Siegerspur fahren. Dazu gehört auch, sich stets weiterzuentwickeln. Nur weil Porsche sich immer verändert hat, ist Porsche stets Porsche geblieben. Diesen Satz verwende ich gern bei Porsche, er gilt aber genauso auch für den Konzern insgesamt.
Was werden Ihre persönlichen Schwerpunkte in der Führung des Volkswagen Konzerns sein?
Ich führe ein Unternehmen nach fünf Grundprinzipien. Unser Konzern wird nur so erfolgreich sein, wie es unsere fantastischen Marken sind. Deshalb geht es mir um Marken, Produkte, Menschen, Unternehmertum und Nachhaltigkeit. Alle Dimensionen müssen gut miteinander verknüpft werden.
Welche Hauptstärken sehen Sie bei Volkswagen?
Der Volkswagen Konzern steht für die Führung von starken Marken mit attraktiven Produkten. Wir haben eine hoch qualifizierte Mannschaft. Unser Konzern ist international aufgestellt. Wir erzielen Skaleneffekte durch Volumen. Und wir übernehmen als größtes Industrieunternehmen in Europa hohe gesellschaftliche und soziale Verantwortung: für die wirtschaftliche Entwicklung ganzer Regionen wie Niedersachsen und für mehr als 670.000 Arbeitsplätze weltweit. Der Volkswagen Konzern gehört zu den weltweit führenden Technologieunternehmen. Alle Faktoren sind eine gute Basis für die Zukunft.
An welchen Stellen sehen Sie Handlungsbedarf?
Zunächst möchte ich betonen, dass der Konzern Vorstand um Herbert Diess strategisch und technologisch einen guten Job gemacht hat. Die richtigen Weichen sind gestellt. Eine gute Strategie ist wichtig. Und sie ist immer dann erfolgreich, wenn es gelingt, sie in die tagtägliche Arbeit zu überführen. Systematische, transparente und verbindliche Umsetzung von Zielen haben für mich eine große Bedeutung. Abgeleitet von unseren großen Baustellen habe ich mir einen Zehn-Punkte-Plan vorgenommen. Mit diesen konkreten, aus dem Konzern Vorstand geführten Programmen, können wir vom ersten Tag an loslegen und schnell Erfolge erzielen. Es geht dabei um unsere finanzielle Robustheit, die Weiterentwicklung unserer Produkte, Software und Technologien, Regionen wie China und Nordamerika, aber auch Nachhaltigkeit oder den Kapitalmarkt.
An der Strategie in Richtung Elektromobilität werden Sie festhalten?
Klares ‚Ja‘. Der Elektromobilität gehört die Zukunft. Wir werden das Tempo beibehalten – wo möglich sogar noch steigern. Ich bin Fan der Elektromobilität. Für diesen Weg stehe ich durch meine Arbeit bei Porsche. Wir haben die Elektromobilität auch gegen Widerstände sehr früh eingeleitet und 2021 weltweit bereits rund 25 Prozent elektrifizierte Fahrzeuge verkauft. 2030 sollen es mehr als 80 Prozent Elektro-Sportwagen sein. Gleichzeitig ist es unser Plan, das Unternehmen 2030 bilanziell CO₂-neutral zu stellen. Diese Erfahrung möchte ich in den Volkswagen Konzern einbringen. Wichtig ist mir, unsere Fahrzeuge immer vom Kunden zu denken. Vom Design über die Technologien und Ausstattungen.
Die CARIAD gehört zu den so genannten Baustellen. Inwieweit sind dort große Veränderungen zu erwarten?
Eines vorab: Es ist der absolut richtige Weg, die CARIAD als zentrales Kompetenzzentrum für Software aufzustellen. Dass der Aufbau eines Unternehmens Kraft kostet, ist normal. Jetzt müssen wir uns weiterentwickeln. Welche Software mit welchen Funktionen ist bis wann realistisch umsetzbar? Was leitet sich daraus für die Cyclepläne unserer Produkte ab? Welche Kernkompetenzen wollen wir in der CARIAD, wo liegen die richtigen Schnittstellen zu den Marken und mit welchen Partnern arbeiten wir zusammen? Zudem geht es um die Weiterentwicklung unserer Prozesse, Werkzeuge und der Organisation. Wir werden alles ergebnisoffen prüfen und einen zügigen Umsetzungsplan entwickeln.
Bei eFuels hat Porsche einen eigenen Weg eingeschlagen. Volkswagen steht voll und ganz zur Elektromobilität. Ein Widerspruch?
Überhaupt nicht. Wer Klimaschutz ganzheitlich denkt, muss auf ein „doppeltes E“ setzen: Elektromobilität und ergänzend eFuels. Weltweit gibt es heute mehr als 1,3 Milliarden Verbrennerfahrzeuge. Viele davon werden auch in 30 bis 50 Jahren noch auf dem Markt sein. Stark abhängig von den Weltregionen. Jedes Prozent eFuels als Beimischung im Kraftstoff kann den CO₂-Ausstoß senken. Auch bei Porsche setzen wir voll auf Elektromobilität und sehen eFuels als Ergänzung. Sie sind sinnvoll, wenn sie an Orten auf der Welt produziert werden, wo nachhaltige Energie unbegrenzt vorhanden ist. Wir sind an einer Pilotanlage in Chile beteiligt, wo es das ganze Jahr über starken Wind gibt. Dort spielt die Frage des höheren Energiebedarfs bei der Herstellung dieser Kraftstoffe keine Rolle. Bei einer Fertigung im industriellen Maßstab gehen wir davon aus, dass man perspektivisch auf Preise von unter zwei Dollar pro Liter kommen könnte. Wichtig sind diese Kraftstoffe neben Bestandsfahrzeugen vor allem für die Schiff- und Luftfahrt. Im Konzern setzt übrigens auch Lamborghini ergänzend auf eFuels. Die technologische Entwicklung werden wir im Konzern weiterhin allein bei Porsche konzentrieren.
Sie fordern Tempo und Fokussierung. Kann der große Tanker Volkswagen überhaupt so viel Fahrt aufnehmen?
Der Volkswagen Konzern kann eine große Kraft entwickeln. Unsere Industrie erlebt die größte Transformation ihrer Geschichte. In den nächsten fünf Jahren wird sich mehr ändern als in den vergangenen 50 Jahren. Diese Transformation erzeugt eine hohe Dynamik. Gleichzeitig erfordert eine Transformation auch Stabilität. Hier müssen wir den richtigen Rhythmus finden. Eine klare Strategie, diese konsequent umsetzen und zu geeigneten Zeitpunkten den Kurs überprüfen.
Werden Sie bei diesem Programm noch freie Zeit für Ihre Familie oder den Sport haben?
Wichtig ist eine gute Organisation mit den richtigen Prioritäten. Ausgleich muss sein, um die Energie für den Job zu haben. Ich bin ein Familienmensch. Und Sport hat für mich eine hohe Bedeutung. Ob Joggen, Mountain-Biken oder Tennis. Ich kann beim Sport sehr gut loslassen und abschalten. Und das gute Gefühl nach dem Sport wirkt wie ein Energieschub.
Sie betonen die Bedeutung Ihrer Familie. Wie blicken Sie auf Ihre eigene Kindheit zurück?
Ich hatte eine tolle Jugend- und Schulzeit in normalen Verhältnissen. Mein Fußball-Team war mir wichtig. Mein Vater leitete einen Supermarkt, lange Zeit hier in Wolfsburg. Meine Mutter arbeitete in einer Bank. All das hat mich geprägt. Für mich zählt, jedem Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, unabhängig davon, wer er ist und was er macht. Das konstruktive Miteinander und der gegenseitige Respekt haben eine hohe Bedeutung – das gilt für das Zusammenleben in der Familie ebenso wie für das Zusammenarbeiten im Unternehmen.