Interview mit Gunnar Luderer
Wir haben Einschätzungen führender Wissenschaftler zum Klimawandel in einem Dossier zusammengestellt. Gunnar Luderer ist Vize-Chef der Abteilung für nachhaltige Transformations-Pfade am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Im Interview erklärt er, wie der Einzelne für den Klimaschutz handeln kann – und was die Politik tun sollte. Neben seiner Aufgabe am PIK ist Luderer Professor für Globale Energiesystem-Analyse an der Technischen Universität Berlin.
Gerade in den Industrieländern sind die CO₂-Emissionen pro Kopf viel zu hoch. In Deutschland zum Beispiel liegen sie bei 8.600 Kilogramm pro Jahr. Wie setzt sich das zusammen?
Etwa ein Drittel entsteht beim Verfeuern von Kohle, Öl und Gas für die Erzeugung von Strom. Das Heizen von Gebäuden trägt ein weiteres Sechstel der Emissionen bei. Grob ein Viertel kommt aus dem Transportsektor, der Straßenverkehr hat daran den größten Anteil. Ein weiteres Viertel wird der Industrie zugerechnet. Zusammen mit den Emissionen für die Landwirtschaft ergeben sich die Pro-Kopf-Emissionen, das ist eine rechnerische Größe. Jede und jeder Einzelne trägt dazu bei, aber wichtige Wirtschaftsunternehmen wie Volkswagen tun das natürlich in besonderem Maße – sowohl über ihren eigenen Energieverbrauch als auch über ihre Produkte, nämlich Autos mit Verbrennungsmotor. Darum ist es so wichtig, dass auch Volkswagen Verantwortung übernimmt und neue Lösungen für saubere Mobilität entwickelt. Im Moment haben die Menschen und die Unternehmen erstmal ganz andere und viel drängendere Sorgen, auch ich habe die. Aber das Klimaproblem geht davon leider nicht weg.
Welcher Wert ist mit wirksamem Klimaschutz vereinbar?
Wenn wir unser Klima stabilisieren wollen und die Erwärmung auf weniger als zwei Grad begrenzen wollen, damit es nicht immer mehr Extremwetter und Meeresspiegelanstieg und all das gibt, dann müssen wir schon Mitte des Jahrhunderts auf netto Null Emissionen kommen. Tatsächlich: Null. Da kann es aus der Landwirtschaft noch die Freisetzung von Methan geben, das auch ein Treibhausgas ist, oder ein paar schwer vermeidbare industrielle Prozess-Emissionen, aber die müssten dann ausgeglichen werden durch so genannte negative Emissionen, also indem wir der Atmosphäre wieder Treibhausgase entziehen. Bäume tun das zum Beispiel, auch das unterirdische Verpressen von CO₂ ist ein Ansatz, aber die Technologien sind kostspielig und Landflächen für Aufforstung sind begrenzt. Deshalb müssen wir so rasch wie möglich mit der Emissions-Reduktion anfangen. Je später wir das tun, desto steiler muss dann die Emissionskurve nach unten gehen – und desto teurer wird es.
Wieviel Einfluss kann jeder Mensch mit dem persönlichen Verhalten nehmen?
Natürlich kann der Einzelne versuchen, in seinen Konsumgewohnheiten etwas zu verändern – aber das alles kann kein Ersatz sein für die richtige Rahmensetzung durch die Politik. Die dafür durch Wahl legitimierten Entscheider müssen Vorgaben machen, etwa einen wirksam hohen und umfassenden Preis auf CO₂. Der greift auf alle Produkte durch, immer entsprechend ihrer Emissionsintensität. Das verändert dann für die Unternehmen wie auch die Verbraucher die Anreize. Und es kann zu einem Schub für Innovationen im Bereich emissionsfreier Technologien kommen. So ein Preissignal ist, das zeigt unsere Forschung sehr klar, das mit Abstand wirksamste Instrument für den Klimaschutz. In manchen Bereichen muss er aber durch Regulierung und Förderprogramme ergänzt werden – zum Beispiel, um die Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität voran zu bringen oder einkommensschwachen Haushalten beim Umstieg zu helfen.
„Eine nachhaltigere Ernährung mit weniger Fleisch und Milchprodukten, dafür mehr Gemüse und Obst – das ist nicht nur gut für den Planeten, sondern auch gesünder für jeden Einzelnen“
Was kann jeder Einzelne konkret tun, um den CO₂-Fußabdruck zu verringern?
Natürlich kann man weniger oft in den Urlaub fliegen und lieber öfter mal in Deutschland Urlaub machen. Oder nicht so viel Billigfleisch essen, das wäre auch gesünder. Man kann für Zuhause Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. Aber nochmal: Entscheidend ist die politische Rahmensetzung. Was der Einzelne da tun kann: Seine Präferenzen der Politik deutlich machen. Aber auch einfach mal mit Nachbarn über das Thema reden.
Welche Möglichkeiten gibt es bei der Mobilität?
Mobilität ist ein Grundbedürfnis des Menschen und eine der großen Errungenschaften moderner Gesellschaften – gerade in der aktuellen Krise wird das uns wieder sehr deutlich vor Augen geführt. Wir brauchen aber eine umfassende Verkehrswende – nicht nur, um die Klimaziele zu erreichen, sondern auch um der Verstopfung der Straßen, der Lärmbelastung und der Luftverschmutzung beizukommen. Dafür müssen wir weg vom Verbrennungsmotor – die Zukunft wird im Pkw-Bereich elektrisch sein. In den Städten können in Zukunft Mobilitätsdienstleister wie MOIA mit gemeinschaftlich genutzten Angeboten die Lücke zwischen Fuß- und Radverkehr und den öffentlichen Verkehrsmitteln schließen. Schon jetzt beobachten wir, dass immer mehr Städter auf ein eigenes Auto verzichten. Auf dem Land ist es hingegen schwer, ohne Auto klar zu kommen. Hier wird der Elektromobilität eine tragende Rolle zukommen.
Nehmen wir an, ich möchte sofort anfangen – was sind Ihre wichtigsten Tipps?
Erstens: Stromverbrauch. Der allereinfachste Weg für Klimaschutz im eigenen Haushalt ist der Umstieg auf Öko-Strom. Dieser kostet nur geringfügig mehr als konventioneller Strom, entlastet beim Durchschnittsverbrauch eines Vierpersonenhaushalts die Klimabilanz gleich um knapp drei Tonnen CO₂ pro Jahr. Zweitens: Ernährung. Eine nachhaltigere Ernährung mit weniger Fleisch und Milchprodukten, dafür mehr Gemüse und Obst – das ist nicht nur gut für den Planeten, sondern auch gesünder für jeden Einzelnen. Noch etwas: Viel zu viele Lebensmittel landen im Müll. Kaufen und kochen Sie nur so viel, wie Sie auch wirklich essen. Drittens: Mobilität. Hier gibt es viele Ansatzpunkte. Welche Strecken kann ich mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen? Reicht mir ein kleinerer Pkw oder kann ich gar auf ein Elektroauto umsteigen? Bei Flugreisen in die Ferne ist es besser, länger vor Ort zu bleiben, und dafür seltener zu verreisen.
Die Corona-Pandemie lässt die Wirtschaftsleistung und damit die CO₂-Emissionen schrumpfen. Wie schätzen Sie diesen Effekt ein?
Die Corona-Pandemie ist furchtbar und bringt uns auch beim Klimaschutz kein Stück weiter. Zum einen ist der Emissionsrückgang vorübergehend und die Folge wirtschaftlicher Schäden, die wir alle gern vermeiden würden. Zum anderen verursacht die Corona-Krise so viel menschliches Leid – es wäre verdammt zynisch, sich über die Emissionsminderungen zu freuen und dieses Leid auszublenden. Wir können alle nur hoffen, dass diese Krise möglichst bald bewältigt ist, sodass die Unternehmen und die Menschen wieder normal arbeiten können. Dann können wir gemeinsam und mit frischem Elan den Umbau hin zu nachhaltigem Wohlstand anpacken. Das wäre doch schön.
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